Wer Ruhe sucht, der wird sie auf Lihou finden: Die kleinste der Kanalinseln ist nur zu Fuß bei Ebbe erreichbar; statt Menschen leben hier Vögel, Kaninchen und Insekten.
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Die Zeit steht still auf Lihou
Den salzigen Geschmack des Meeres auf meinen Lippen, das Haar zerzaust vom Wind, der hier stetig weht und das Herz so voller Glück, dass es fast zu zerbersten scheint: Dass das heutige Erlebnis etwas ganz besonderes sein wird, spüre ich bereits, als ich aus dem Bus steige, der mich von Guernseys Hauptstadt St. Peter Port an die L’Erée-Bucht im Westen der Insel gebracht hat.
So schön es hier auch ist, ich will weiter. Nach einigen Metern Fußweg sehe ich auch schon das Ziel meines Ausflugs: Lihou, eine kleine Gezeiteninsel, die sich vor mir ausbreitet. Nicht majestätisch wie Mont St. Michel in der Normandie, eher lieblich und einladend. Es gibt keine Brücke, kein Schiff, kein Flugzeug, das mich nach Lihou bringt. Auf die Insel zu schwimmen ist auch keine gute Idee, nicht nur wegen der 11 Grad Wassertemperatur, die das Meer im Mai hat, sondern vor allem wegen der gefährlichen Strömung, aus der schon manch Waghalsiger gerettet werden musste.
Um nach Lihou zu gelangen, muss ich nur eins: Warten.
Nicht allzulange, denn ich habe mich zuvor informiert. 11:08 ist die magische Uhrzeit. Was dann passieren wird? Wie durch Zauberei verschwindet das Meer und es tut sich ein Weg auf: ein so genannter „causeway“, der von der Hauptinsel Guernsey zum kleinen Eiland Lihou führt.
Zugegeben, Magie steckt nicht dahinter, sondern bodenständige Gezeitenkunde. Und die besagt: Solange Flut herrscht, ist Lihou von Wasser umgeben; sobald Ebbe ist, verzieht sich das Wasser und man kann (fast) trockenen Fußes zur Insel wandern.
Erst seit dem Jahr 2000 ist das so einfach möglich, denn erst seitdem gibt es den Fußweg. Davor musste man über eine Sandbank laufen, was das Abenteuer noch etwas unberechenbarer machte.
Ein paar Ungeduldige machen sich schon vor 11:08 Uhr auf den Weg, ich bin klischeehaft deutsch-obrigkeitshörig und gedulde mich noch die paar Minuten. Eine gute Viertelstunde dauert der Spaziergang durch das Watt. Hin und wieder muss ich große Schritte machen oder von Stein zu Stein hüpfen, denn der Pflasterweg setzt zeitweise aus.
Überall riecht es nach Seegras, das zwar nicht mehr so oft wie früher, aber immer noch gesammelt wird: Es eignet sich perfekt als Dünger.
Auf der Insel angekommen, muss man noch eine letzte Entscheidung treffen: Im Uhrzeigersinn oder gegen ihn? Ein Pfad führt einmal um die gesamte Insel, das dauert ungefähr eine halbe Stunde, je nachdem, wie lange man stehenbleibt.
Als ich im Mai dort bin, ist gerade Nistsaison, d.h. ich darf nicht vom mit Seilen markierten Weg abkommen, um die Vögel nicht beim Nestbau oder Brüten zu stören.
Auf der Hälfte des Weges befindet sich der Venus Pool, in dem man baden kann – um zu ihm zu gelangen, muss man aber schon ganz gut kraxeln können. Heute badet niemand, ich stelle mir es aber absolut traumhaft vor, dort abzutauchen.
Nach meiner Runde will ich noch nicht runter von der Insel, so schön ist es hier. Ich habe ja zum Glück auch noch eine ganze Weile Zeit, bis die Flut den Zugang zur Hauptinsel wieder abschneidet. Wie gut, dass noch ein freier Platz auf einer der zwei Bänke ist. Mit anderen Lihou-Besuchern und Besucherinnen zu quatschen, das Gesicht in die Sonne halten, dem Traktorfahrer dabei zuschauen, wie er das Gepäck für die Schulkinder im Gästehaus durch das Watt transportiert: Augenblick, verweile doch…
Lihou Fakten & Geschichte
Die Insel Lihou ist nicht nur die westlichste, sondern auch die kleinste zumindest zeitweise bewohnte Kanalinsel. Sie misst knapp 16 Hektar und liegt ungefähr 500 Meter westlich von Guernsey.
Aufgrund der Ruine eines Priorats von Benediktinermönchen geht man davon aus, dass die Insel seit dem 12. Jahrhundert besiedelt war, auch Bauern und Fischer ließen sich auf dem kleinen Eiland nieder.
In der jüngeren Vergangenheit hat sich hier sogar Industrie angeesiedelt – Vraic (Seegras) wurde geerntet und auf am Strand aufgestellten Gestellen getrocknet. In einem Fabrikgebäude von 1927 wurde Jod aus Seetang hergestellt.
Während der deutschen Besatzung Guernseys im Zweiten Weltkrieg von 1940-1945 hielten sich die Soldaten auch auf Lihou auf, unter anderem um hier mit schwerer Artillerie zu üben. Dadurch wurde nicht nur das einstige Priorat stark zerstört, auch die Seetangfabriken verschwanden.
Lihou befindet sich heute im Besitz des Parlaments von Guernsey (States of Guernsey), obwohl es in der Vergangenheit eine Reihe von privaten Eigentümern gab. Seit 2006 wird die Insel gemeinsam vom Guernsey Environment Department und dem Lihou Charitable Trust verwaltet.
Hat hier jemand Puffins gesagt? Tiere und Pflanzen auf Lihou
Heute lebt niemand mehr dauerhaft auf Lihou – die Insel ist nun als Naturreservat deklariert und die aktuellen Bewohner stammen aus dem Tierreich: Es sind vor allem Kaninchen und über 150 verschiedene Vogelarten, die hier ihre Heimat gefunden haben.
Neben Wanderfalken, Austernfischern und Basstölpeln soll man hier auch oft Puffins (Papageientaucher) bei ihren kunstvollen Tauchgängen beobachten können. Schon in Wales und Schottland wollte ich diesen Wasservogel mit dem markanten orangefarbenen Schnabel unbedingt sehen, doch dort wie hier habe ich kein Glück und erfreue mich stattdessen an den sehr großen und erfreulich schüchternen Möwen.
Ich bereue es sehr, kein Fernglas mitgebracht zu haben – sind das in der Ferne etwa Delfine? Möglich wäre es, genau so wie Robben, die sich hier manchmal gerne sonnen, überprüfen kann ich es leider nicht.
Mindestens so artenreich wie die Tierwelt ist die Flora auf Lihou. Im Mai blühen die Wiesen saftig grün und sind überall mit den bunten Farbflecken der Küstenblumen, wie die leuchtend pinke Strand-Grasnelke oder der gelbe Stechginster.
Die Pflanze, die auf bzw. rund um Lihou am meisten vorkommt, ist jedoch eine andere: Ganze 200 verschiedene Arten von Seegras gibt es hier.
Übrigens: Lihou ist Teil der Ramsar-Gebiete auf Guernsey. Als Ramsar-Gebiet werden Feuchtgebiete bezeichnet, die gemäß der Ramsar-Konvention unter besonderem Schutz stehen. In Deutschland zählen hierzu z.B. das Wollmatinger Ried am Bodensee, das Ostufer der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern oder der Starnberger See in Bayern.
Wie kommt man nach Lihou?
Die Gezeiteninsel Lihou ist bei Ebbe über einen Damm vom Fort Saumarez aus zu erreichen. Mit dem Auto oder Bus gelangst du zum Erée-Beach, von dem es nur noch einige Meter bis zum Parkplatz am Fort Saumarez sind, von wo aus der Überweg zur Insel Lihou beginnt (Google Maps Link).
“Damm” bedeutet übrigens nicht viel mehr als ein gepflasterter Weg am Meeresgrund. Immer mal wieder fehlt auch die Befestigung und du bewegst dich auf mehr oder weniger glitschigen Steinen, Geröll oder Seegras. Es könnte sein, dass du nasse Füße bekommst, wenn du jedoch geschickt bist und Glück hast, bleibt alles im Trockenen. So oder so empfehle ich dir, Schuhe mit Grip zu tragen – mit meinen Trailrunning-Schuhen mit Profil war ich auf jeden Fall richtig angezogen.
Wann ist in Lihou Ebbe? Gezeitenkalender & Tide
Auf die Insel Lihou kommst du nur zu Fuß und bei Ebbe, so viel ist ja schon klar. Aber wann ist Ebbe und wie lange? Um zu wissen, wann Ebbe und wann Flut ist, musst du dich auf dem Gezeitenkalender informieren.
Es gibt daneben noch explizit einen Lihou-Gezeiten Kalender, der dir ganz genau sagt, wann du den Weg auf die Insel starten kannst und wann du am spätestens zurückkommen musst, bevor alles wieder überflutet ist.
Das Zeitfenster, in der man auf Lihou laufen und dann wieder auf die Hauptinsel Guernsey zurück laufen kann, ist ungefähr drei Stunden lang. Du solltest diese drei Stunden aber nicht ganz ausreizen, sondern dir genügend Puffer einbauen.
Übernachten auf Lihou: Gästehaus
Auf Lihou gibt es ein einziges Gebäude, das noch in Betrieb ist: Das Lihou Guest House. Das Gästehaus ist für Gruppen buchbar, meist sind hier Schulklassen untergebracht, aber theoretisch ist es auch für Familien oder eine Gruppe von Freunden möglich, hier zu wohnen. Der Mindestbetrag pro Nacht beträgt 350 britische Pfund, eine Kaution in gleicher Höhe fällt zudem an. —> Informationen, Preise und Buchung Lihou Guest House
5 Tipps für deinen Ausflug auf Lihou
1. Essen & Trinken
Am besten ein Sandwich und was zu Trinken einpacken, denn auf Lihou gibt es nichts zu kaufen. Vielleicht aber auch nicht allzuviel Wasser mitnehmen, denn: auch eine Toilette gibt es nicht (zumindest keine öffentliche, und das WC im Gästehaus ist nur für Übernachtungsgäste).
Wenn du dann wieder zurück auf der Hauptinsel bist, findest du sicherlich etwas in einem der vielen guten Restaurants auf Guernsey.
2. Sonnencreme & Sonnenbrille
Wear Sunscreen! Zu fast jeder Jahreszeit kannst du hier einen richtig dollen Sonnenbrand bekommen, denn das Meer spiegelt die Sonne und es gibt hier so gut wie keinen Schatten. Also zu einer Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor greifen (Falls du auch empfindliche Haut hast wie ich: Das ist meine allerliebste reizarme Sonnencreme*) und dick eincremen.
Die Sonnenbrille schützt deine Augen nicht nur vor der UV-Einstrahlung, sondern auch vor dem Wind, der hier fast immer weht.
3. Sonnenhut oder Basecap
Eigentlich logisch, aber ein Sonnenhut / Basecap / Wanderhut* kann auch nicht schaden.
4. Badeanzug
…oder Bikini, Badeshorts: Wenn du gut im Klettern bist, kannst du zum Venus Pool, einem natürlichen Meerwasserpool kraxeln und dort eine Weile baden. Aber Vorsicht, nicht zu lange, sonst verpasst du das Ebbe-Zeitfenster und kommst nicht mehr weg von der Insel (obwohl..hmmmm…)
5. Fernglas
Wie gerne hätte ich ein Fernglas* dabei gehabt um zu schauen, welche Vögel sich auf den Felsen in der Umgebung niedergelassen haben. Absolute Empfehlung!
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