Ein kleines, von außen unscheinbares Restaurant im Mississippi-Delta zieht Menschen aus aller Welt an: um die Spezialität des Hauses, “fried pickles”, zu probieren, um Live-Bluesmusik zu hören – oder, um sich die verloren gegangene Inspiration zurück zu holen. Ein Ortsbesuch in Tunica, Mississippi.
Inhalt des Artikels
Walking im Memphis: Ein Welthit und seine Geschichte
Die Angst des Schreibers vor dem weißen, unberührten Blatt Papier. Ich kenne sie so gut: Die Schreibblockade tritt immer dann auf, wenn ich eine dringende Deadline habe oder wenn ich einen besonders guten oder außergewöhnlichen Text schreiben will. Doch was macht man, wenn einem kein einziges gutes Wort einfällt? Man geht am besten an einen Ort, an dem man niemals zuvor war – und hofft, dort die zuvor abhanden gekommene Inspiration wiederzufinden.
Das zumindest tat Marc Cohn, nachdem er gelesen hatte, dass der mehrfache Grammy-Gewinner James Taylor genau so vorgeht, wenn gar nichts mehr geht. Ende der 1990er Jahre machte er sich auf den Weg nach Memphis, Tennessee: „I always knew it was a place I had to visit because so much of my favorite music came from there” (die ganze Geschichte hinter dem Songtext findest du bei Smooth Radio).
Dass er die Schreibblockade damals überwinden konnte, zeigt sein bis heute größter Hit: „Walking in Memphis“, der 1991 auf seinem Debütalbum erschien und ihm im selben Jahr einen Grammy einbrachte.
Im Text dieses Ohrwurm-erzeugenden Songs finden sich neben zahlreichen Memphis- und Elvis-Referenzen auch folgende Zeilen, die ich immer mitgesungen habe, ohne genau zu hinterfragen, was oder wer damit gemeint sein könnte:
Now Muriel plays piano / Every Friday at the Hollywood / And they brought me down to see her / And they asked me if I would / Do a little number /And I sang with all my might
Und genau hier liegt die eigentliche Story: Muriel Wilkins war eine pensionierte Lehrerin aus Arkansas, die regelmäßig im Hollywood Café Klavier spielte und sang. Und wie es der Zufall (oder das Schicksal?) so wollte, trafen Muriel und Marc hier aufeinander, und sangen ein paar Spirituals zusammen. Dass ihn das nachhaltig beeindruckt hat, zeigt Hommage, die er ihr mit der Erwähnung in „Walking in Memphis“ widmete.
The Hollywood Cafe: Eine Legende im Mississippi-Delta
Tunica, Mississippi, gilt als das Eingangstor zum Blues. Hier, entlang des U.S. Highway 61, befindet sich das Gateway to the Blues Museum und hier beginnt auch offiziell der Mississippi Blues Trail.
Während Tunica früher von landwirtschaftlichen Betrieben geprägt war, ist der Ort heute vor allem für seine zahlreichen Casino-Hotels bekannt, die jährlich von 15 Millionen Gästen besucht werden.
Über 20 Jahre vor der Eröffnung des ersten Spielkasinos gab es bereits eine andere Attraktion, die Menschen von nah und fern in den kleinen Ort im Nordwesten Mississippis magisch anzog: The Hollywood Café, das 1969 von einem Student der Ole Miss eröffnet und nach dem Ort benannt wurde, an dem es seine ursprüngliche Heimat hatte: Hollywood, Mississippi.
Als das Gebäude im Jahr 1984 einem Brand zum Opfer fiel, wurde das neue Hollywood Café an anderer Stelle neu aufgebaut, in einem ehemaligem Lebensmittelgeschäft, das die Arbeiter der Baumwollplantagen mit allem Notwendigen versorgte. Auch wenn der Ort, der sich etwas 10 Meilen nördlich der Stadt Tunica befindet, im Jahr 2005 von „Robinsonville” in „Tunica Resorts” umbenannt wurde, nennen ihn viele Einheimischen noch beim alten Namen.
Home of the Fried Dill Pickle
Das Hollywood-Café steht für typische Südstaatenküche: Fried Catfish (frittierter Wels), Fried Green Tomatoes (frittierte grüne Tomaten), Onion Rings (Zwiebelringe), Steaks, Burger und natürlich Desserts in allen Variationen.
Ursprünglich war das Restaurant lediglich eine Bar. Doch nach und nach entwickelte es sich zu einem „Juke Joint”, einem Lokal, in dem Blues gespielt wird. Die Gäste wollten zu ihren Drinks auch etwas zu essen, und so wurde fortan Soul Food angeboten.
Die Legende besagt, dass der Welsvorrat eines Abends erschöpft war und vom Koch durch Essiggurken ersetzt wurde. Statt Fisch wurden nun als Gurken paniert und frittiert – geboren waren das Kultgericht „Fried Dill Pickles”.
Dass andere Quellen behaupten, die frittierten Dillgurken seien in Arkansas erfunden worden, kümmert in Tunica niemanden – mich erst recht nicht. Der Kultsnack war für mich Grund genug, das Hollywood Café zu besuchen.
—> Hunger bekommen? Hier geht’s zum Rezept für Fried Pickles
Berühmte Gäste im Hollywood Café
So gut wie alle Blues-Musiker von Rang und Namen im Mississippi-Delta sind schon im Hollywood Café aufgetreten: Son House, Howlin’ Wolf und Fiddlin‘ Joe Martin, um nur einige zu nennen.
Auch B.B. King beehrte das legendäre Restaurant, als das B.B. King Museum im November 2007 eine Spende von einer halben Million Dollar vom Telekommunikationsunternehmen AT&T erhielt und die feierliche Übergabe im Hollywood-Café stattfand.
Ein anderer regelmäßiger Gast war von diesem besonderen Ort so inspiriert, dass er ihn in einen seiner größten Bestseller einbaute: John Grisham erwähnt das Hollywood Café mehrfach in „A Time to Kill” (deutsch: „Die Jury”).
Die Seele des Mississippi-Deltas: Hier findest du sie
Eine alte Legende aus dem Mississippi-Delta erzählt, dass Robert Johnson dem Teufel seine Seele verkauft habe, um im Gegenzug den Blues meisterhaft spielen zu können. Hätte er einige Jahrzehnte später gelebt, hätte er im Hollywood Café vielleicht seine verlorene Seele wiedergefunden.
Das Klavier, an dem Muriel Wilkins spielte, steht noch immer dort. Diese kleine Restaurant im Mississippi-Delta erinnert uns genau daran: Die besten Erlebnisse haben wir oft dort, wo wir sie am wenigsten erwarten.
The Hollywood Café, 1585 Old Commerce Rd Robinsonville/Tunica, MS (sonntags geschlossen).
Offenlegung: Diese Recherche erfolgte auf Einladung von Visit Mississippi.