8 Stunden, 50 Kilometer und 39 Runden um einen See mitten in Berlin. Ganz ohne Wettbewerb, einfach so für sich an einem Samstag. Wie man auf eine solche Idee kommt, was man dabei alles erlebt und vor allem wie man so etwas mental und körperlich durchhält – das will ich von Nina wissen, die sich abgesehen vom Laufen und Wandern eigentlich „für eher unsportlich“ hält. Der erste Teil der Adventure-Mindset-Interview-Serie, viel Spaß!
Inhalt des Artikels
Adventure Mindset Interviews
„Mindset“ ist derzeit ein angesagtes Buzzword und eine Weile lang hat es mich sogar ein wenig genervt…zum Beispiel wenn irgendwelche Coaches einem erzählen wollen, dass es immer nur an der eigenen Einstellung (und nicht etwa an äußeren Bedingungen) liegt, wenn man eine Gehaltserhöhung nicht bekommt/eine Challenge nicht schafft/keine sechsstelligen Monatsumsätze erzielt.
Je mehr ich aber über Ultraläuferinnen und -läufer gelesen habe, oder Menschen, die scheinbar Unmögliches möglich machen, desto mehr hat mich der Gedanke überzeugt, dass unser Mindset – sprich unsere Geisteshaltung – wesentlich dazu beiträgt, ob wir das, was wir uns wirklich vorgenommen haben, umsetzen können oder nicht. Für die Adventure Mindset Interview Serie unterhalte ich mich mit Menschen, die mich durch ihre Abenteuer, Aktivitäten und (teilweise sehr verrückten) Ideen inspirieren. Den Anfang macht Nina und ihre spontane, achtstündige Umkreisung des Weißen Sees in Berlin.
Nina aus Berlin
Nina hab ich über die Berliner Laufcommunity kennen gelernt. Immer wieder sind wir uns auf Laufveranstaltungen begegnet und jedes Mal war sie deutlich schneller als ich unterwegs. Irgendwann kamen zu ihren Läufen die Mammutmärsche und ausgedehnte Wanderungen hinzu. Durch ihre Instagram-Stories kann ich ihren großen und kleinen Abenteuern folgen und so wurde ich unlängst auch auf eine gleichermaßen verrücktes wie sehr spannendes Microadventure aufmerksam: Einfach mal morgens an den benachbarten, kleinen See gehen und schauen wie viele Runden man drum rumspazieren kann, bevor der Körper nicht mehr will.
Nina, du bist 50 Kilometer um den Weissen See in Berlin gelaufen, nonstop in 8 Stunden. Warum?
Die Idee kam mir ungefähr ein bis zwei Wochen zuvor das erste Mal in den Sinn. In vielen Ländern gibt es ja derzeit striktere Regeln, was das Sport machen im Freien angeht – zum Beispiel nur in einem gewissen Umkreis zur Wohnung. Da ich generell sehr viel wandere und in Berlin und Brandenburg unterwegs bin, hatte ich überlegt, wie ich mit solchen Umständen umgehen würde und da schoss es mir in den Kopf, ich könnte ja um den Weißensee wandern, der fast direkt vor meiner Haustür liegt. Ich habe es auch meinem Freund erzählt, der die Idee nicht so gut fand: zu langweilig! Von solchen Aussagen fühle ich mich generell angespornt, plante jedoch nicht weiter.
Was war Moment, an dem du wusstest: jetzt mache ich das?
Am Karfreitag überlegte ich abends, ob ich am nächsten Morgen starten wolle und entschied mich, das spontan zu entscheiden. Ich stellte mir keinen Wecker und hoffte, dass ich wie so oft noch vor 7 aufwachen würde. Um 7:45 bin ich dann aufgewacht – oh schon so spät! Naja, Sachen angezogen, Laufrucksack umgeschnürt, ein Getränk und zwei Riegel eingepackt und los ging’s: das Gute war ja schließlich, dass zu Hause nicht weit entfernt lag und ich jederzeit aufhören oder mir was zu essen holen könnte.
Wem bist du am See begegnet?
Es war noch recht frisch und der Weiße See, wie er korrekt heißt, war noch relativ wenig frequentiert. Ich lief los und dachte bereits nach vier bis fünf Runden, dass mir das wirklich zu doof sei und zehn Runden ja auch reichen würden. Ich wechselte jedoch von meinem Podcast auf ein spannendes Hörbuch und begann mich mehr auf meine Umgebung zu konzentrieren.
Tatsächlich konnte man sehr viel beobachten, während man im Schnitt alle 10 Minuten wieder an der selben Stelle angelangte. Ich sah hübsche männliche Nacktbader, ein Eichhörnchen, das vor einem Hund davonrannte. Drei Teenie-Mädchen die ein Fotoshooting mit ihren Handys veranstalteten, ein Schwanennest, ein Mann hatte ein riesiges elektrisches Modellboot, welches von vielen See-Umrundern bestaunt wurde. Immer wieder wechselten die Menschen, die mir entgegenliefen, manche Läufer sah ich über eine Stunde hinweg immer und immer wieder. Irgendwann beobachtete ich die Polizei, wie sie von Parkbank zu Parkbank lief, um die Sitzenden zu befragen, ob sie im selben Haushalt wohnen. Ein Mann lag mit seiner eigenen Soundanlage, die den halben See beschallte, sicher sechs Stunden an der Westflanke des Sees und wechselte immer wieder zwischen Bollywood-artiger Musik zu einem Deutschkurs und schließlich Pop-Musik.
Gab es auch komische Momente?
Eine Stunde lang war ich etwas aufgebracht, weil mir zwei junge Herren etwas anzüglich hinterhergeschaut hatten und auch immer wieder etwas kommentierten.
Und irgendwann kam dein Freund dann doch dazu….
Gegen 12 Uhr meldete sich mein Freund, er würde mich jetzt besuchen kommen. Am Kiosk des Strandbades fing er mich ab, wir kauften ein Heißgetränk für mich und er begleitete mich weitere 10km lang auf meinem Weg. Mittlerweile war es voll geworden. Ich wies ihn auf all meine Entdeckungen hin und zwei Süße Omis am Wegesrand begannen mitzuzählen, wie viele Runden wir bereits an ihnen vorbeigezogen sind. Als wir an einem hübschen Paar vorbeigingen, war ich mir plötzlich sicher, einen bekannten deutschen Schauspieler erblickt zu haben, nach langem googlen kamen wir auch auf den Namen, verifizieren konnte ich es allerdings leider nicht. Als mein Freund sich auf eine Wiese verabschiedete, dachte ich mir, die letzten 10 km zu einer 50km Runde schaffe ich nun auch noch und zog einfach weiter.
Wann hattest du den Gedanken, einfach aufzuhören?
Eher am Anfang, als die vielen Runden noch vor mir lagen, da dachte ich, ich könnte genauso gut nach zwei Stunden wieder nach Haus und einen guten Film gucken.
Die letzten Kilometer (bis die 50 voll waren) verflogen dagegen echt schnell und danach habe ich mich auf die Wiese zu meinem Freund geworfen. So angenehm das auch war, ich wusste genau, je länger ich sitzen würde, desto schlimmer wird das wieder aufstehen, noch dazu musste ich dringend aufs Klo, das hatte ich mir bis dahin komplett geklemmt.
Also sind wir glücklich und zufrieden nach Hause gezogen und ich habe mich für den Rest des Tages keinen Zentimeter mehr bewegt.
…wie hast du dich dann zum Weiterlaufen motiviert?
Mir hilft es am ehesten, mich indirekt unter Druck zu setzen. Ich habe während des Wanderns eine Umfrage in meiner Insta-Story gestartet und gefragt, wie viele Runden ich wohl schaffen würde. Viele antworteten irgendwas zwischen 6 und 15 – sowas motiviert mich dann. Weiterhin hilft es mir, mich von Etappenziel zu Etappenziel zu motivieren – gleich sind es 15 Runden oder 30 Kilometer – oh und so schnell, das könnte dein neuer Rekord sein.
Was hast du gegessen und getrunken?
Was das angeht, war ich wenig vorbildhaft. Ich habe 0,5 Liter Mate und 2 Riegel dabei gehabt, die ich jedoch nicht angerührt habe. Eine zweite Mate habe ich mir am Kiosk geholt und einen Chai Latte. Mein Körper braucht während so einer Anstrengung gar nicht so viel – das würde ich aber niemandem so empfehlen, ich habe mich da jedoch schon gut kennengelernt und weiß, dass ich zur Not mit wenig auskommen. Wichtig: danach genug trinken und essen tue ich sonst sowieso stets genug.
Wanderkleidung oder Laufklamotten?
Meine Kleidung war etwas anders als bei sonstigen Wanderungen. Statt meiner Wanderschuhe hatte ich meine Sport-Sneaker an, statt Wanderrucksack nur den kleinen Laufrucksack. Leggings und Lagenlook für die auf 16 Grad steigenden Temperaturen.
Wie ging es dir am selben Abend und am Tag danach?
Danach ist es ein wenig wie krank sein. Man glüht und Muskeln und Knochen werden ganz steif. Ich habe auch Schmerzen und Blasen musste ich ebenfalls 2-3 versorgen. Ich habe mich auf die Couch gelegt und einfach nicht mehr bewegt. Am nächsten Morgen geht es mir, da ich gut trainiert bin, schnell besser. Besonders leistungsfähig bin ich allerdings erst nach einer weiteren Nacht.
Was hast du aus dieser Herausforderung gelernt?
In Zeiten der Kontaktsperre hat sich das Wandern um den See angefühlt, als würde ich ganz viele neue Leute kennenlernen, wie viel man beobachten und erleben kann, ohne weit reisen zu müssen, war auf jeden Fall eine tolle Erkenntnis. Davon abgesehen, hat sich mal wieder bestätigt, dass vieles eben eine Kopfsache ist und dass ich meinen Kopf mit ein paar Tricks immer ganz gut austricksen kann.
Was rätst du Menschen, die aktiv werden wollen, sich aber nicht so richtig aufraffen können?
Generell glaube ich, dass ich mich nur langfristig für etwas motivieren kann, was mir Spaß macht und woraus ich einen Mehrwert ziehen kann. Sei es, eine schöne Tour zu planen, mit einem tollen Hügel, von dem man die Stadt sehen kann oder das fette Stück Kuchen, was man sich danach doppelt verdient hat.
Ich kann nur von mir sprechen: Mich motivieren Ziele und Zahlen, aber selten der Wettkampf, dieser setzt mich zu sehr unter Druck. Ich könnte nicht ohne meinen Fitnesstracker raus, weil ich es liebe, diese Erfolge zu sehen und zu verfolgen. Das erste Mal eine bestimmte Distanz zurückzulegen und diese jedes Mal ein wenig zu steigern, fand ich am Anfang sehr motivierend, bis ich für mich entdeckt habe, dass es neben Kalorien-Verbrennen und Rekorde brechen, tatsächlich nette Beobachtungen am Wegesrand gibt und eben viel Zeit in der Natur.
Ohne Podcasts oder Hörbücher würde ich draußen keine drei Schritte durchhalten, für mich ist das eine blendende Ablenkung.
In Zeiten ohne Corona, war ich viel mit meiner Wandergruppe unterwegs, die vielen lieben Menschen, die ich da kennengelernt habe, waren sicherlich auch ein riesen Faktor. Auf facebook kann man sich Gruppen anschließen, die ihre Erlebnisse miteinander teilen und den Einstieg erleichtern.
Wie würdest du dein generelles Fitnesslevel beurteilen – wie oft und was trainierst du momentan?
Normalerweise wandere ich circa alle 3 Wochen meistens in der Gruppe ab und zu auch allein zwischen 30 und 50 Kilometern. Seit Corona, habe ich wieder mit dem Laufen angefangen und wandere sicherlich jedes Wochenende eine längere Strecke. Davon abgesehen bin ich ziemlich unsportlich.
Info: Der Weiße See in Berlin
Falls du jetzt ganz inspiriert bist von Ninas Seeumrundung, hier ein paar Infos zum Weißen See: Der Weiße See liegt im Berliner Ortsteil Weißensee und gehört zum Bezirk Pankow. Auf der einen Seite (am Ostufer des Sees) befindet sich das offizielle Strandbad Weißensee (derzeit noch nicht geöffnet), auf der anderen Seite eine „halblegale“ Liegewiese. Sehr bekannt und beliebt ist das Milchhäuschen am Westufer des Weißen Sees.
Vielen Dank an Mandys Abenteuerwelt für die Fotos vom Weißen See, vielen Dank an Nina für das Interview und das Foto.